Journal: Seit weit über zehn Jahren gibt es mittlerweile die
Hospizgruppe Dinkelsbühl e. V. Wer hat seinerzeit aus welchen Gründen, mit
welcher Absicht den Hospizverein Dinkelsbühl e. V. ins Leben gerufen?
Weißmann: Ich selbst. Durch eigene Betroffenheit in der Familie habe
ich vor fünfzehn Jahren Personen aus dem Hospizteam Nürnberg kennengelernt und
war überzeugt, dass auch wir in unserer Umgebung ein solches Angebot bräuchten.
Ich habe die damalige Vorsitzende des Bayerischen Hospizverbandes, Frau
Christine Denzler-Labisch aus Bamberg, angerufen und sie gebeten, in Dinkelsbühl
einen Vortrag über die Hospizbewegung zu halten. Anschließend haben wir erst
eine Regionalgruppe und dann nach drei Jahren einen eigenen Verein gegründet.
Alle etwa 20 Gründungsmitglieder sind noch heute dabei.
Journal: Hospiz wird als ein Konzept der ganzheitlichen Sterbe- und
Trauerbegleitung verstanden. Was bedeutet ganzheitlich für Sie?
Weißmann: Ganzheitlich ist für uns ganz natürlich. Wir versuchen
immer, den Menschen mit seinen Gedanken, seinen Gefühlen und seinen körperlichen
Beschwerden bzw. dem körperlichen Zustand als Ganzes zu sehen. Man kann das eine
doch nicht vom anderen trennen. Psyche und Physis gehen immer Hand in Hand.
Herz, Hirn und Hand – Gefühle, Gedanken und Machbares sind eine Einheit.
Wir sehen das Problem der ganzheitlichen Betreuung eher in der Tatsache, dass
oft Angehörige eine andere Vorstellung haben als der Betroffene selbst und wir
möglichst versuchen, den zu Begleitenden und die Familie, falls es eine gibt,
mit einzubeziehen.
Dass wir manchmal eine andere Auffassung haben spielt dabei keine Rolle. Wir
verstehen uns im wahrsten Sinne des Wortes als Begleitung und nicht als
diejenigen, die eine Melodie spielen. Nehmen wir das Beispiel Musik – Dirigent –
Orchester: Wir bestimmen weder, welche Melodie gespielt wird, noch dirigieren
wir. Wir sind „nur die vierte Stimme“. Die ist zwar wichtig, weil sie „trägt“,
aber es würde auch ohne sie gehen. Das gilt sowohl für die Sterbe- als auch für
die Trauerbegleitung.
Journal: Die Grundidee der Hospizbewegung ist ein möglichst
schmerzfreies, menschenwürdiges Leben bis zuletzt. Stehen Ihnen genügend Mittel
und Möglichkeiten zur Verfügung, dies den Menschen, die Sie begleiten, zu
gewähren?
Weißmann: Es wäre wünschenswert jedem ein schmerzfreies,
menschenwürdiges Leben und Sterben zuzugestehen. Leider ist dieser Wunsch nicht
immer erfüllbar. Wir selbst pflegen nicht, deshalb haben wir auch keine Mittel
dafür zur Verfügung. Aufgrund unserer Fortbildungen und der guten Kontakte
können wir empfehlen, informieren. Uns selbst stehen fachliche Beiräte zur
Seite, die uns unterstützen: drei Ärzte, zwei Seelsorger, zwei
Pflegedienstleiter, eine Physiotherapeutin/ Krankengymnastin, ein
Pflegedienstleiter, ein Kaufmann. Außerdem sind wir in engem Kontakt mit einem
großen Hospizverein in Nürnberg und den Hospizvereinen Ansbach und
Neuendettelsau in unserer Gegend. All dies geschieht, wie auch unsere Arbeit,
auf rein ehrenamtlicher Basis.
Journal: Es gibt ambulante, teilstationäre oder stationär tätige
Hospizvereinigungen. Welcher Form ist Ihre Hospizverein zuzuordnen?
Weißmann: Wir sind ein selbstständiger ambulanter Hospizverein, der
aber auch in stationären Einrichtungen willkommen ist, etwa in Krankenhäusern
und Altenheimen. In den letzten Jahren haben wir jeweils zwischen 3.000 und
4.000 Stunden an ehrenamtlicher Arbeit geleistet und sind pro Jahr rund 15.000
km Kilometer gefahren.
Journal: Wie viele Menschen – medizinisch-therapeutisch, freiwillige
Hospizhelferinnen und -helfer – unterstützen Sie bei Ihrer täglichen Arbeit?
Weißmann: Zurzeit haben wir ungefähr 150 Mitglieder. Davon sind 30
aktive Helfer bzw. Helferinnen.
Journal: Wie wird der Hospizverein von der Öffentlichkeit (Stadt
Dinkelsbühl und Umgebung) wahr- und angenommen?
Weißmann: Wir haben in Dinkelsbühl ein ausgezeichnetes Netzwerk, in
das der Hospizverein mit eingebunden ist. Allein das hat bewirkt, dass wir so
an- bzw. wahrgenommen werden. Städtische Verwaltung, Kirchen, Ärzte,
Pflegedienste, Apotheken, Geschäftsleute, Zeitung – wenn es um die Hospizarbeit
geht, ziehen alle an einem Strang. Oft werden große Hoffnungen in unsere Arbeit
gesetzt, die wir leider nicht immer erfüllen können. Es gibt schon Momente, in
denen wir uns zeitlich überfordert fühlen.
Journal: Welche Art von Hilfe benötigen Sie am meisten?
Weißmann: Das ist vollkommen unterschiedlich. Mal bräuchten wir mehr
Aktive, mal einfach nur mehr Zeit, dann wieder eine fachliche Auskunft bzw.
Unterstützung. Manchmal ist es auch finanziell eng. Aber auch das ist meist nur
vorübergehend. Eigentlich haben wir bisher immer die Hilfe bekommen, die nötig
war. Ganz selten, wenn wieder einmal viel zusammenkommt, frage ich mich schon,
warum ich mir all das auflade und wie ich die Anforderungen schaffen soll.
Journal: In einer psychologischen Fachzeitschrift stand einmal: „Der
stärkste Impuls unserer Seele an den Körper ist der Drang, anderen Menschen zu
helfen.“ Das Kinderhospiz „Sternenbrücke“ schreibt auf seiner Internetseite:
„Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben.“
Schöpfen auch Sie und Ihr Gruppe aus solch einer Überlegung die Kraft für Ihr
tägliches Handeln?
Weißmann: So unterschiedlich wie die Aktiven unserer Gruppe sind,
sowohl vom Beruf als auch von der Veranlagung her, so unterschiedlich schöpfen
wir Kraft. Auch die Motivation, warum wir helfen, ist vollkommen
unterschiedlich. Eigene Erfahrung mit dem Tod von Familienmitgliedern,
beruflicher Hintergrund, Dankbarkeit, der Wunsch, nach dem Berufsleben noch
Sinnvolles zu tun, Glauben, Durchleben bzw. Überleben eigener schwerer
Erkrankungen und vieles mehr sind unsere Motivation zu helfen, zu unterstützen.
Kraft schöpfen wir z. B. aus der eigenen Familie, aus dem Glauben, durch die
Mitglieder unserer Aktivengruppe, durch Anerkennung, durch die Musik, durch
Gebete, über Literatur und, und, und.
Journal: Trotz allen Leids, mit dem Sie sich täglich
auseinandersetzen müssen: Gibt es auch glückliche Momente für Sie?
Weißmann: Wer das Leben nicht liebt, wer nicht zufrieden und
fröhlich sein kann, wem Glücksgefühle im Alltag fremd sind, wer nicht genießen
kann, der kann kein Hospizhelfer sein.
„Wer selbst nicht schwimmen kann,
kann andere nicht retten!“ ist ein geflügeltes Wort, das ich oft zitiere. Wie
sollten wir Zeit, Kraft und Zuwendung schenken können, wenn wir verbittert über
unser eigenes Leben wären?
Bei aller tiefen Betroffenheit, die
selbstverständlich bei schweren Einsätzen auftritt, viel Kraft kostet und
Grenzen aufzeigt, werden uns auch immer wieder Glücksmomente geschenkt. Das
Vertrauen, die Nähe und Offenheit die uns entgegengebracht werden, gibt einem
das Gefühl Beschenkter und nicht Gebender zu sein.
Ein von Herzen kommendes,
leises Danke, ein Gesicht, das zu strahlen beginnt, wenn man erblickt wird, auch
ernste, tiefe Gespräche oder heitere Berichte aus der Vergangenheit erzeugen
solche Glücksmomente.
Journal: Zu Weihnachten werden gerne Wunschzettel geschrieben. Was
steht auf Ihrem Wunschzettel ganz oben?
Weißmann: Das ist leicht zu beantworten. Für meinen Mann und mich
auch im kommenden Jahr einen hoffentlich stabilen Gesundheitszustand, damit wir
noch viel Freude an und mit unseren Kindern und den fünf fröhlichen,
putzmunteren Enkelkindern haben dürfen und die gemeinsame Zeit mit ihnen
genießen können.
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